Die Sprache der Ohnmacht

21 junge Menschen starben bei der Loveparade 2010 in Duisburg, Hunderte wurden verletzt. Ein traumatisches Ereignis, bei dem Kenntnis über Folgestörungen auch für die Medien wichtig sind. Tipps und weitere Informationen finden Sie hier.

Sie wollten nur feiern, so wie jedes Jahr in den letzten 19 Jahren der Loveparade, der größten Technofeier der Welt. Doch 21 Menschen fanden dabei einen grausamen Tod, über 500 wurden verletzt.
 
Was war geschehen? Auf dem Duisburger Festivalgelände, einem stillgelegten Areal in der Nähe des Hauptbahnhofs, kam es bei dem einzigen Ein- und Ausgang zu einer Massenpanik. Hunderte wurden dabei gegen einander gedrückt, eingequetscht, niedergetrampelt. Schockierende und bewegende Bilder, die um die Welt gingen. Szenen, die vor allem durch Handyvideos und Fotos festgehalten wurden, direkt aus nächster Nähe. Dokumentationen, die auch viele Medien übernahmen.  

Unbeantwortete Fragen, Ohnmacht und Hilflosigkeit

Die Frage nach dem Warum bewegt in diesen Tagen und Wochen die Welt. Wie konnte der Veranstaltungsort, der gar nicht für über eine Million Besucher ausgelegt war, überhaupt für diese Massenveranstaltung zugelassen werden? Wie konnte der Tunnel zur Todesfalle werden?

Die Veranstalter fanden auf der darauf folgenden Pressekonferenz nicht nur wenige Worte für das Geschehen, sondern sie gaben auch kaum Auskunft auf die Fragen der zahlreichen Journalisten. Die taz titelte einen Tag später: „19 Tote: Schuld war niemand“ und: „Es (die Pressekonferenz) ist ein Dokument der Hilflosigkeit und der Jämmerlichkeit“ (taz, 26.Juli 2010).

Es ist verständlich, dass Menschen bei derartigen Unglücken sofort nach der Schuld fragen, Verantwortliche ausmachen wollen. Einigen gibt es so das Gefühl, dem Chaos ein Gefühl der Kontrolle zu geben und ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Doch in diesem Fall sind die Veranstalter dabei wenig hilfreich gewesen. 

Interviews mit Betroffenen – ein schmaler Grad

Die Berichterstattung rekonstruiert das Geschehen seither vor allem mit Hilfe von Zeugen und Betroffenen – die teils noch sichtlich unter Schock stehen. Wenngleich auch Panikforscher, Seelsorger und Psychologen befragt werden - das Interview mit  Betroffenen, die gerade ein schlimmes Unglück erlebt haben, ist eine schmale Gradwanderung.

Auch die Süddeutsche Zeitung fragt sich: „Wie nahe, wie deutlich muss der Journalist in Wort und Bild heran an das Geschehen - und damit an den Tod, um seinem Auftrag gerecht zu werden? Wann überschreitet er die Linie ins Sensationsheischende und fügt Opfern und Angehörigen weiteren Schaden zu?“ (Ralph Pfister, Süddeutsche Zeitung vom 27.07.2010). Und eine andere Journalistin schreibt: „Man möchte, man müsste sie ansprechen als Berichterstatter. Sie fragen, wie es ihnen geht, was sie gesehen, was sie erlebt haben. Und tut es doch nicht, angesichts ihrer tränenreichen Traurigkeit (Petra Pluwatsch, Kölner Stadtanzeiger, 26.Juli 2010).

Berichterstattung oder Entertainment?

Zwar berichten die meisten deutschen Medien, so der Deutsche Journalistenverband (DJV) in einer Presserklärung am 27. Juli, 3 Tage nach dem Unglück, dass der „überwiegende Teil der Medien“ bislang angemessen über die Loveparade-Katastrophe berichtet, doch liegen dem Verband und dem Deutschen Presserat zahlreiche Beschwerden vor, die die Bild-Zeitung betreffen. Die Boulevard-Zeitung veröffentlichte bereits wenige Tage Fotos und Namen der Opfer (neben Fotostrecken, in denen auch abgedeckte Leichen zu sehen sind) und konstruiert das „Grauen“ per Simulation nach. Eine Darstellung, die viele Leser zu einer Beschwerde beim Presserat veranlasste.         

„Es gibt publizistische Grundsätze, die eingehalten werden müssen. Dazu zählt, dass die Presse auf eine unangemessene sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid verzichtet.“ Und: „Gerade bei derart tragischen Ereignissen müssen Medien ihrer besonderen Verantwortung nachkommen“, so der DJV. „Es ist pietätlos gegenüber Opfern und Angehörigen, gezielt die Sensationslust zu bedienen.“

Auch einige Journalisten mussten um ihr Leben fürchten und versuchten, das Erlebte für ihre Sendungen oder Zeitungen wiederzugeben. Sie habe ihre Kamera irgendwann abgeschaltet, so berichtet beispielsweise eine Fernsehreporterin im Studiogespräch mit der Sendung "Aktuelle Stunde" des WDR. Andrea Hanna Hünninger beschreibt in ihrem Artikel "Macht die Mauern weg" der aktuellen Ausgabe der ZEIT, wie sie „mit knapper Not dem Gedränge im Tunnel entkam.“ Es sind Schilderungen von Panik, Todesängsten und Hilflosigkeit, aber auch Dankbarkeit, die Tragödie überlebt zu haben.

Es ist dabei wichtig, zu wissen, dass Trauma, die Folgen, Auswirkungen und auch die Bewältigungen von Traumatischem vielfältig sind. Es gibt nicht nur die eine Geschichte, sondern viele Reaktionen und unterschiedliche Fragen. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob sich gute Berichterstattung diesen Aspekten geduldig, sensibel und mit Tiefe widmet.

Dazu auch:

WDR 5 Funkhaus Wallraffplatz vom 07.08.2010. Hier geht es zum Audio.

Funkhaus Wallrafplatz diskutiert mit WDR Chefredakteur Jörg Schönenborn und Petra Tabeling vom "DART CENTER für Journalismus und Trauma" über die Herausforderungen des Katastrophenjournalismus und die Verantwortung der Medien.

"Trauma ist ansteckend" - Interview mit Trauma-Expertin Fee Rojas bei WDR online

Die furchtbaren Eindrücke von der Massenpanik bei der Loveparade haben viele Menschen traumatisiert. Selbst vermeintliche Profis wie Polizisten und Journalisten suchen jetzt Hilfe. Und: Trauma kann sogar ansteckend sein, sagt die Expertin.

Loveparade: »Nun erzählen Sie doch mal!«

Die Trauma-Expertin Kerstin Stellermann plädiert in der ZEIT für Zurückhaltung bei Unglücks-Berichterstattung

 

Hilfreiche Tipps:

Auf den Webseiten den Dart Centre können Journalisten, Redakteure und Programmmacher vielfältige Informationen zum Umgang mit Trauma und Gewalt finden. Die meisten Materialien sind auf Englisch und stehen kostenlos zur Verfügung. Hier eine kleine Auswahl, die hilfreich sein könnte:

"Tragedies and Journalists" - Handbuch zum Download

Themenpaket Interviewtipps

"Sie sehen aber schlecht aus", In: Message (2006), von Ulla Fröhling. Die wichtigsten Regeln zur Opfer-Befragung

Themenpaket "Self-care" - Was Journalisten stärkt und was Redaktionsleiter wissen müssen