Berichten über Leben und Tod

Was Medienberichte für Überlebende bewirken, wie man ihrem Zeugnis gerecht wird, welche Rolle Journalisten spielen und was ihr Umgang mit Sprache bewirkt – das diskutierten Überlebende und internationale ReporterInnen auf dem diesjährigen Global Media Forum in Bonn auf Einladung des Dart Centers Europe.

Berichte über die Überlebenden des Genozids in Ruanda, Dokumentationen über sogenannte Ehrenmorde oder auch Interviews mit Opfern sexueller Gewalt: Journalisten und Berichterstatter nähern sich diesen Geschichten aus großer Entfernung. Wir schreiben über Gerechtigkeit und Menschenrechte, nennen Zahlen, heben Statistiken hervor und manchmal bleibt in unseren Geschichten sogar Platz für Zeugenaussagen, die unsere produzierten Berichte „bereichern".

Aber das wirft Fragen auf: Was geschah mit der Person, nachdem sie dem Journalisten mitteilte, dass sie angegriffen wurde? Wie erging es den Befragten während des Interviews und auch: was fühlte der Journalist? Wie gehen wir mit den Informationen dieser Zeugen um?

Angesichts unaussprechlicher Tragödien müssen Journalisten eine besonders schwierige Rolle erfüllen:  gewissenhaft und ausgewogen berichten. Dabei wird die scheinbar einfachste Fähigkeit zur Schwierigsten – zuhören können. Eine Begabung, die man nicht einfach in einem Handbuch oder anhand einer Checkliste erlernt, sondern die sich erst im Laufe der Berufserfahrungen entwickle  betonte Moderator Gavin Rees, Direktor des Dart Center Europe.   

Jina Moore berichtet seit mehreren Jahren für US-amerikanische Medien aus Afrika. Aus vielen Begegnungen mit Opfern und Überlebenden weiß sie, dass es besonders wichtig ist, in  der Rolle als Berichterstatter realistisch zu bleiben. „Erzählen Sie den Menschen nicht, dass Sie mit ihrem Bericht die Lage der Leute verändern werden und nun eine Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam machen, die  daraufhin sicher etwas tun wird. Die Menschen vor Ort hören das oft von Journalisten und dennoch hat sich nichts für sie geändert. Sie können die Welt als Reporter nicht verändern, aber  Sie können kleine Dinge tun, z.B. zusätzliche Links zu Hilfsorganisationen veröffentlichen".

Moore, die unter anderem für den Christian Science Monitor arbeitet und sich insbesondere mit Medien, Sprache und sexuelle Gewalt auseinandersetzt, betonte vor den über hundert  Teilnehmern des Workshops, wie wichtig die Wortwahl dabei sei, ob „Betroffene", „Opfer" oder „Überlebende" – diese Begriffe würden oft mit wenig Überlegung verwendet.

"Es gibt dabei einen großen Unterschied. Eine Überlebende ist eine Person, die vor und nach dem schrecklichen Ereignis ein eigenes komplexes Leben führt oder geführt hat. Ein Opfer wird nach dem Moment dieses Ereignisses benannt. Beide sind Teil derselben Identität. Und wenn du auf eine Interviewpartnerin triffst und dir nicht klar ist, über welche der beiden du nun berichtest, wirst du deinen Job nicht gut machen, weil man damit die Person irritiert und Emotionen hochkommen."

Auch 17 Jahre nach dem Genozid in Ruanda sind Gefühle und Erinnerungen da, über die man nicht sprechen kann. Esther Mujawayo überlebte den Massenmord der Tutsis an den Hutus im Jahr 1994 mit ihren drei Kindern, verlor ihren Ehemann und nahezu ihre gesamte Familie. Die Autorin gründete die Witwenorganisation AVEGA (Association des Veuves du Genocide d'Avril). Heute bezeichnet Sie sich als „suivantes, suivantes"-Überlebende: „Wir wollten damit aussagen, dass wir nicht einfach „nur Überlebende" sind, am Anfang waren wir dazu verurteilt zu leben, weil wir nicht getötet wurden." Mujawayo fand erst zehn Jahre später Worte für das Unaussprechliche. Für ihre Bücher und für ihr unermüdliches Engagement, auf die Folgen dieser Gräuel aufmerksam zu machen, wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Es hätten Leben gerettet werden können, wenn die Medien damals schneller das Wort „Genozid" verwendet hätten, kritisierte die Menschenrechtlerin. Damals wurden innerhalb weniger Wochen eine Million Menschen getötet – ein Wort, das von der UN zunächst vermieden wurde, um nicht zu intervenieren, aber „für uns ging es um Leben oder Tod." Mujawayo rief die Journalisten in Bonn dazu auf, sich vor ihrem Einsatz klar über die politische Lage und Hintergründe zu informieren.

Sie zählte Beispiele auf, wie Überlebende durch mangelnde Kenntnis der Reporter vor Ort erneut in Lebensgefahr gebracht wurden: „Die Rebellen sprechen Englisch, die Milizen der Regierung Französisch. Wenn mich der Journalist auf Englisch anspricht, und dabei Nachbarn und Soldaten in unserer Nähe sind, dann werde ich als eine "Komplizin der Rebellen" angesehen. Also was soll ich dann aussagen? Ich sage natürlich nichts. Es ist wichtig, sich vorher darüber Gedanken zu machen."

Die Soziologin appellierte an die Medien, nicht nur dann zu berichten, wenn „etwas gerade passiert", sondern auch über die Folgen und die Zeit nach den akuten Ereignissen zu schreiben. Eine Lebensnotwendigkeit, weil es ebenso zwischen Leben und Tod entscheide: „Wenn wir Journalisten über unsere Arbeit bei AVEGA informieren, bekommen wir zu hören, dass es kein Interesse mehr an Ruanda gebe. Das ist sehr zynisch und es schmerzt,"  so Mujawayo.

Dabei sprechen die Tatsachen für sich und sie sind skandalös: „80 Prozent unserer Frauen sind HIV positiv und sie benötigen Medizin. Die inhaftierten Täter bekommen unter den Haftbestimmungen der UN Medikamente - nicht ihre Opfer, die sie infiziert haben. Es gibt keine Versorgung der Zeuginnen. Und darüber müssen Sie berichten!"

Es sei wichtig, dass sich Journalisten über ihre Grenzen klar werden, bevor sie mit Überlebenden, mit Kindersoldaten, Flüchtlingen und mit Opfern sprechen. In ihrer Arbeit als Psychotherapeutin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf (PSZ) werde sie oft nach Interviewpartnern gefragt. „Auf der einen Seite ist diese Berichterstattung wichtig, aber auf der anderen Seite müssen wir auch nein sagen, weil wir niemanden entblößen wollen und die Person stabil bleiben muss. Wir raten unseren Klienten nicht zu sprechen, wenn sie sich nicht gut fühlen. Es ist auch erforderlich, dass wir bei den Interviews dabei sind. Eine Möglichkeit ist, dass wir anstelle der Person die Geschichte erzählen."

Rana Husseini, Gerichtsreporterin der Jordan Times in Amman, berichtet nicht über Überlebende, sondern über Frauen, die im "Namen der Ehre" von der eigenen Familie getötet wurden. Als Husseini als junge Reporterin in den 90er Jahren bei der englischsprachigen Zeitung begann, waren diese Morde noch ein Tabuthema - "eines Tages las ich eine kleine Notiz in einer Zeitung. Der Wortlaut war: Ein Mann tötete seine Schwester, die polizeilichen Ermittlungen laufen. So wurde damals über Ehrenmorde berichtet - entweder gar nicht oder nur in einer kleinen Mitteilung." 

Husseini recherchierte mehr, fuhr in das Dorf des 16jährigen Opfers, eine Schülerin, die von einem ihrer  Brüder missbraucht worden war und deshalb sterben musste. Hinzu kam, dass diese Morde wenig bestraft und verfolgt wurden - drei bis sechs Monate waren laut Husseini damals üblich, "man bekam für ein Betrugsdelikt eine höhere Strafe als für einen Mord!".

Die weiteren Hintergründe und das lange Leiden des Mädchens motivierten Husseini dazu, seit nunmehr 17 Jahren unermüdlich über die Opfer zu berichten und ihnen, die man aus angeblicher Scham vergessen lassen will, ein Gesicht zu geben. Obwohl, laut Husseini, Journalisten in Jordanien keine Familiennamen oder Fotos in ihren Geschichten verwenden dürfen, benutze sie so viele Details wie möglich, um den Mädchen und Frauen im Nachhinein ein menschliches Antlitz zu geben und sie in den Köpfen der Menschen wieder lebendig werden zu lassen.

Husseini versteckt sich bei ihren Recherchen und Interviews, die auch die Täter mit einbeziehen, nicht: "Ich sage immer deutlich, wer ich bin und dass ich als Journalistin arbeite. Um an meine Informationen zu kommen, befrage ich vor Ort Nachbarn, Ladenbesitzer, entfernte Familienmitglieder. Es ist wichtig, Quellen und Vertrauen zu bilden. Und es ist extrem wichtig, diese miteinander zu vergleichen. Man muss sehr klug und geschickt vorgehen."   

Dabei achte Husseini, die sich nicht nur als Journalistin sieht, sondern auch als Menschenrechtlerin, ganz besonders auf ihre Rolle als Berichterstatterin, wenn sie den Tätern im Interview begegnet. Persönliche Gefühle wie Wut muss sie vermeideen, auch wenn es schwer fällt:  "Es ist wichtig, sich kein Urteil zu bilden, um mehr über Hintergrund und Motive solcher Taten zu erfahren."

Dabei sei das soziale Umfeld und ein gutes Arbeitsteam unerlässlich: „Ohne die Unterstützung meiner Chefredakteure, die an Menschenrechte glauben, und ohne meine Familie hätte ich meine Arbeit so nicht machen können. Und: Ich glaube daran, dass Berichte über soziale Hintergründe einen Unterschied in unserer Gesellschaft machen". Mit Erfolg, die diversen Publikationen der Gerichtsreporterin und die internationale Anerkennung ihrer Arbeit führten unter anderem zu einer Änderung des jordanischem Rechtssystems.  

  • Das komplette Audiofile der Veranstaltung finden Sie hier: http://soundcloud.com/dwgmf ( "Reporting human rights without infringing the rights of those reported on" - Tuesday, 21 June 2011)
  • Lesen Sie dazu ergänzend auch die Rede von Monika Hauser, Gründerin von medica mondiale, auf dem Global Media Forum hier (englisch).
  • Merkblatt von medica mondiale - Do's and Don'ts für Journalisten