Trauma, Trauer, Traurigkeit

 

Amoklauf in Winnenden. Love-Parade-Desaster in Duisburg. Massenunfall auf der Autobahn. Jedes Mal sind die Medien groß dabei, jedes Mal gibt es einen Wettlauf um die eindringlichsten Bilder und Töne von Betroffenen und Angehörigen. So gut wie nie denkt einer der Berichterstatter darüber nach: Wie gehe ich eigentlich mit meinen Gesprächspartnern um? Und wie wirkt dieses Elend, über das ich hier berichte, auf mich selbst? Das Buch "Trauer und Trauma" erklärt Zusammenhänge und gibt Empfehlungen. Von Max Ruppert

 

Trauma, Trauer, Traurigkeit: Mit diesen drei "T’s", die das Leitmotiv des Buchs darstellen, sollten sich auch Journalisten auskennen. Zumindest diejenigen, die nicht nur am Redaktionsschreibtisch sitzen oder nur im Internet recherchieren. Über diese drei "T’s" erfahren die Leser eine Menge in diesem Buch. So wird im alltäglichen Umgang mit Menschen, die traurig sind, trauern oder traumatisiert sind, oft nicht differenziert. Shah und Weber plädieren entschieden dafür, genau hinzuschauen: Trauer ist ein Zustand, der lange anhalten kann, nicht nur ein Gefühl der Traurigkeit. Traurigkeit wird aber, so die Autoren, oft mit Trauer gleichgestellt, was zu Ungerechtigkeiten und Missverständnissen führt. "Manche Traurigkeit wird damit überbewertet, die Tragweite von Trauer und die Auswirkungen durch den Tod in der Kernfamilie nicht erkannt".

Hanne Shah und Thomas Weber haben jahrelange Erfahrung in der psychologischen Betreuung von Traumatisierten und in der Begleitung von Trauernden nach Todesfällen, Katastrophen und Krisen. Sie lernten sich vor fünf Jahren kennen, als sie zur Betreuung von Hinterbliebenen und Betroffenen des Amoklaufs nach Winnenden gerufen wurden. Thomas Weber war als Diplom-Psychologe in die schwäbische Kleinstadt gekommen, Hanne Shah wurde als Vorsitzende des Arbeitskreises trauernde Eltern und Geschwister Baden-Württemberg um Unterstützung gebeten. Damals entstand die Idee zu diesem Buch.

Einige Abschnitte des Buches beziehen sich direkt auf den medialen Umgang mit und die Darstellung von Betroffenen, ansonsten sind Journalisten nicht die Hauptzielgruppe des Buches. Aufgrund der guten Lesbarkeit und der einleuchtenden Beispiele ist es aber ein perfektes Standardwerk, um Medienschaffende zum Nachdenken über die eigene Rolle anzuregen.

Das Besondere des Buches

Den Leser erwartet eine intensive, auf persönlichen Erfahrungen basierende Auseinandersetzung mit kleinen und großen Katastrophen, die jeden von uns im Leben treffen können: Vom Autounfall über den Suizid eines Familienangehörigen bis zu Katastrophen wie dem Loveparade-Desaster in Duisburg. Der Text zeichnet sich durch eine Doppelperspektive von Betroffenen und Helfern aus und lebt von eindrücklichen Beispielen, die den Leser in Ausnahmesituationen mitnehmen, die wir im Alltagsleben eigentlich lieber verdrängen. Deshalb ist es nicht unbedingt ein Buch für die Strandliege.

Die Autoren sind sich bewusst, dass es bereits "viele gute Fachbücher über Trauma, Traumatheorien und Therapien" gibt. Genau deshalb haben sie nicht noch ein weiteres Fachbuch geschrieben. Ihr Werk hebt sich wohltuend ab durch das dialogische Konzept, für das sich die Autoren entschieden haben. So beginnt das Buch mit den inneren Gedanken eines Psychologen (Weber), kurz bevor er zum ersten Mal eine Frau trifft, die ihr Kind verloren hat. Korrespondierend dazu stehen die Gedanken dieser Mutter (Shah).

Solche Gedankensplitter finden sich immer wieder im Buch. Diese Art des Storytelling trägt maßgeblich dazu bei, dass ich mich als Leser gut in die Situationen hineinversetzen und mitfühlen kann. Das Interessante und Neue an diesem Buch ist also die Art der Darstellung, als Zwiegespräch, als Dialog der Perspektiven von Helfern und von Betroffenen. Hanne Shah und Thomas Weber wollen eine Wand einreißen, die sonst zwischen den Trauernden und ihrem Gegenüber steht.

 

Was können Medienschaffende lernen?

Sehr deutlich machen die Autoren, dass Sprache gerade dann machtvoll ist und verletzen kann, wenn Menschen hilflos sind. Das hat direkte Folgen für das Zugehen auf betroffene Augenzeugen: "Ganz langsam sprechen, sonst hyperventiliert sie", denkt der Psychologe kurz vor dem Kontakt mit der trauernden Mutter am Anfang des Buches. Eine unsensible Ansprache von destabilisierten Menschen kann direkte körperliche Folgen haben. Das sollten auch Journalisten, Aufnahmeleiterinnen und Producer, die in solchen Situationen arbeiten, wissen. Werden Interview- oder Gesprächspartner überrumpelt, so haben sie das Gefühl, erneut ohnmächtig zu sein. Das kann sich zusätzlich traumatisch auswirken.

Erschreckend war für mich der zweite Teil des Buches, in dem ziemlich schonungslos aufgezeigt wird, was auch von professionellen Helfern (Psychologen, Pfarrern, Ersthelfern, Polizisten, …) falsch gemacht werden kann. Und wie leicht man in Fettnäpfchen treten kann, auch als Journalist. Zum Beispiel bringt die vielleicht gut gemeinte Floskel "Alles wird gut" überhaupt nichts in einer Situation, in der überhaupt nichts gut ist. Oder die Tendenz, dass man Angehörigen eines Verstorbenen Lügen auftischt, um sie zu schonen. Das Wissen-Wollen der Betroffenen bzw. der Angehörigen stößt oft auf Unverständnis, wird sogar als nervig empfunden. Aber, so insistieren Shah/Weber, es ist der erste Schritt zum Verstehen des Geschehenen und zur Verarbeitung. Weiter gedacht rechtfertigt das auch die aufklärende, sensible Berichterstattung in Katastrophenfällen durch Medien: Angehörige wollen wissen, wie ihr Sohn, ihre Tochter ums Leben gekommen ist, so die Autoren. Diesen Wunsch sollte man respektieren.

"Trauer und Trauma" von Hanne Shah und Thomas Weber, Asanger Verlag, 164 Seiten, 19,80 €

Max Ruppert ist Journalist,  Kommunikationswissenschaftler, derzeit akademischer Mitarbeiter an der Hochschule der Medien in Stuttgart.